top of page
Tätliche Liebe

MITTWOCH

 

"Bitte hör auf", jammerte ich und hielt schützend meine Hände vors Gesicht. "Bitte…"

Der nächste Schlag blieb aus und ich lugte zwischen meinen Fingern hindurch. Schwer atmend und mit erhobener Faust stand er vornübergebeugt vor mir. Mein Herz schlug mir bis zum Hals und ich schluchzte unkontrolliert. Dicke Tränen erschwerten mir die Sicht auf ihn, doch ich konnte erkennen, wie er die Faust langsam sinken ließ. Ich rührte mich nicht und wartete die Sekunde ab, die darüber entschied, wie es weiterging. Der kleine Moment, in dem sich seine Wut entweder verflüchtigte oder hochkochte. Zum Glück wandte er sich ab und ging durch die Badezimmertür hinaus. Erschöpft ließ ich meine Hände zu Boden fallen und atmete tief ein. Verzweifelt sah ich auf das Blut auf den Fliesen, dessen Ursprung mein Gesicht war. Langsam schob sich meine rechte Hand ins warme Nass direkt neben mir. Ich beobachtete meine Finger dabei, wie sie sich hoben und senkten und dabei leise Schmatzgeräusche verursachten. Meine Tränen waren versiegt. Wenn ich alleine war, weinte ich nicht.

Während ich aus dem kleinen Badezimmerfenster auf die Straßenlaterne hinaus starrte, schwoll mein Auge zu und das Blut aus meiner Nase trocknete. Obwohl mir der Hintern einschlief, blieb ich auf dem Boden sitzen, bis draußen die Laterne anging.

​

***

​

"Du musst ihn verlassen", flüsterte Sascha und sah mich eindringlich an. Nach einem Streit fuhr ich immer zu ihm und jedes Mal hatten wir dieselbe Unterhaltung.

"Ich kann nicht", hauchte ich.

Wir saßen in seiner Wohnung vor der Couch, auf der ich schlafen würde.

"So geht das aber nicht weiter!", stieß er empört aus. "Es wird immer schlimmer!"

"Ja, mag sein…" Die Wut in meinem Bauch unterdrückte ich, indem ich meine Fingernägel in den Handballen presste.

"Nein, ist so! Max ist ein Arschloch!"

"Lass das, Sascha. Du weißt nicht, wie er wirklich ist. Eigentlich ist er ein netter Kerl."

Seine Kinnlade klappte herunter. "Wieso nimmst du ihn in Schutz?"

Ich schüttelte den Kopf. Seine folgende Standpauke ging im Rauschen meiner Ohren unter. Ich starrte vor mir auf die hölzerne Tischplatte, dessen helle Maserung ich auswendig kannte. Die Ringe um ein ehemaliges Astloch hatten die Form eines Gesichts mit Bart, das mich vorwurfsvoll anstarrte.

"Warum schmeißt du dieses hässliche Ding nicht mal weg?", unterbrach ich sein Schimpfen. Mit aufgerissenen Augen starrte er mich an.

"Hast du mir überhaupt zugehört?", fragte er aufgebracht.

Ich zuckte mit den Schultern.

"Dir ist echt nicht mehr zu helfen, Basti!"

Es war immer das Gleiche. Wie geübt schossen mir Tränen in die Augen. Sie bewirkten bei Sascha genau das, was ich beabsichtigt hatte: Er legte seinen Arm tröstend um meine Schultern und zog mich an sich. Dankbar sank ich in seine Arme.

"Ich will doch nur, dass es dir gut geht", sagte er nach einer kurzen Weile.

"Ich weiß", antwortete ich träge. "Aber ich liebe ihn."

Genervt atmete er ein und ich löste mich aus seiner Umarmung. Mit letzter Kraft, stemmte ich mich vom Boden auf die Couch hoch und sank in die Kissen. Sascha drehte sich zu mir um und stützte sein Kinn direkt vor meinem Gesicht ab. Unsere Nasen berührten sich und er drückte mir einen Kuss auf.

"Das mit euch ist keine Liebe. Ich liebe dich. Und ich würde dir nie wehtun", hauchte er.

"Ich weiß", flüsterte ich zurück und wir sahen uns lange an. Ich kannte ihn schon seit meiner Kindheit und natürlich liebte ich ihn auch. Aber nicht auf die gleiche Art wie er mich.

Als er mich erneut küssen wollte, zog ich mich zurück. Er presste die Lippen aufeinander und stand zügig auf. Ich konnte hören, wie er das Wohnzimmer verließ und die Tür etwas zu fest ins Schloss drückte.

 

***

​

DONNERSTAG

​

Als ich am nächsten Tag nach der Arbeit wieder nach Hause kam, saß Max auf dem Sofa und sah Fernsehen. Ohne ein Wort zu sagen ging ich nach oben und zog mich um. Im Schlafzimmer wartete ich darauf, dass er zu mir stieß.

Nach ein paar Stunden, die ich mit lesen überbrückt hatte, kam er dann endlich. Er stand im Türrahmen und sah mich an. Keiner von uns sagte etwas, stattdessen zog ich mich langsam aus. Erst das Shirt, so wie er es mochte. Dabei stand er nur da und beobachtete mich aus der Ferne. Ich musste vorsichtig mit dem engen Rundhalsausschnitt sein, denn mein Veilchen war dunkelblau angelaufen und meine Nase puckerte bei jeder Berührung. Die Erregung ließ nicht lange auf sich warten, sein Penis zeichnete sich klar gegen seine Boxershorts ab, in der er zuhause immer herumlief.

In meiner Mitte rührte sich dagegen wenig, doch ich wollte mich um jeden Preis wieder mit ihm vertragen. Ganz langsam drehte ich mich auf den Bauch, streckte meinen Hintern in die Höhe und wartete darauf, dass er ins Bett kam. Er ließ sich Zeit. Ich konnte mir sein Gesicht vorstellen, wie er abschätzte, wie lange er mich quälen konnte, ohne dass ich sauer wurde. Also blieb ich einfach mit gerecktem Hintern liegen und wartete. Innerlich kochte ich vor Wut und die Erniedrigung brannte in meiner Brust. Ich drückte mir die Nägel in die Haut und ließ mich vom Schmerz ablenken.

Die Augen geschlossen lauschte ich jedem Geräusch und gerade als ich dachte, er wäre gar nicht mehr im Raum, bewegte sich Max auf mich zu. Die Bettlaken raschelten und er zupfte mir die Shorts gerade soweit herunter, dass sie den Anus freigaben. Ich spürte seinen harten Schwanz zwischen meinen Pobacken und wusste, dass er mich bestrafen wollte. Weil ich die Nacht über weggeblieben war, würde er kein Gleitgel benutzen. Stattdessen spuckte er mir auf mein Arschloch und hielt meine Hüfte fest, als er schmerzhaft in mich eindrang. Der harte Stich zerriss mich, aber ich gab keinen Laut von mir. Das Vergnügen meines Leidens wollte ich ihm nicht gönnen. Er stieß hart zu und ich ertrug es so wie immer.

Als er mit mir fertig war, rollte ich mich auf die Seite und sah ihn im Bad verschwinden. Mein Puls schlug mir im Hals und ich hatte das Gefühl, keine Luft mehr zu bekommen.

"Du musst noch die Schweinerei hier wegmachen", sagte er aus dem Badezimmer heraus und ich wusste, dass er von meinem Blut sprach. Er wischte es nie auf. Ich atmete gleichmäßig und achtete darauf, dass meine Stimme nicht zitterte, als ich "Mache ich" antwortete. Dann kam er zurück, legte sich neben mir ins Bett und schlief bald ein.

Morgen ist wieder alles normal, sagte ich mir in Gedanken immer wieder, bis die Panik in meiner Brust nachließ.

​

***

​

FREITAG

​

Wir saßen auf der Couch, als mein Handy vibrierte. Es war eine Nachricht von Sascha.

>Wollen wir uns nachher treffen? Ich lade dich ins Kino ein<

Genervt verdrehte ich die Augen und legte das Handy wieder weg.

Max massierte mir den Rücken während wir im Fernsehen die Nachrichten sahen. Ich spürte seine Lippen an meinem Nacken und zog die Schulter hoch.

"Ich will nicht", maulte ich.

"Was wollte ich denn?", fragte Max und küsste mich erneut.

"Sex."

"Das weißt du doch gar nicht."

"Das ist doch alles, was du von mir willst."

"Nein, das stimmt nicht", entgegnete er und ließ von mir ab. Ich beugte mich nach vorne und zappte durch die Kanäle. Es ging mir auf die Nerven, dass er immer nur Sex wollte und dann so tat, als wäre es nicht so!

"Hey, ich wollte die Nachrichten gerne sehen!", sagte er und griff nach der Fernbedienung. Ich riss meinen Arm nach oben, damit er sie nicht bekam. Er beugte sich über mich, was meinen Puls zum Rasen und damit meine Nase zum puckern brachte.

"Bedroh mich nicht", hauchte ich entsetzt und schmiss die Bedienung auf die Couch.

"Hä? Mache ich doch gar nicht!", sagte er mit lauter Stimme.

"Schrei mich nicht so an!"

"Ich schreie doch gar nicht!?"

Er schnappte sich die Fernbedienung und schaltete wieder aufs Erste. Entsetzt starrte ich ihn an. Warum war er so? Genervt stand ich auf und ging in die Küche.

"Basti, was ist denn los?", hörte ich ihn rufen, doch ich reagierte nicht darauf. Stattdessen füllte ich Wasser in den Kocher, schaltete ihn ein und holte eine Tasse aus dem Schrank. Das immer lauter werdende Rauschen übertönte seine restlichen Worte. Noch bevor das Wasser heiß war, stand er in der Küchentür.

"Hast du mich nicht gehört?", fragte er laut.

"Nein."

"Ob es dir gut geht?"

"Mir? Ob es mir gut geht?", fragte ich entgeistert und zeigte auf mein Gesicht. Er senkte den Blick und ich nickte. "Ja, mir geht es hervorragend." Ich füllte das nun heiße Wasser in meine Tasse und warf einen Beutel Tee hinein. Als ich mit der Tasse in der Hand wieder ins Wohnzimmer gehen wollte, stellte er sich mir in den Weg.

"Das…", flüsterte er und strich mir flüchtig über die Wange. "…tut mir leid."

"Pff, mir auch!", winkte ich ab. "Davon wird es aber auch nicht wieder gut."

Saschas Worte hallten mir im Kopf nach: Es wird immer schlimmer…

"Bitte sei jetzt nicht so."

"Wie bin ich denn?", fragte ich kühl.

"So… unnahbar…"

Ich schüttelte den Kopf und wollte mich an ihm vorbei drängeln, dabei verschüttete ich etwas heißes Wasser auf seinen Arm.

"Aua, scheiße, pass doch auf!", rief er und schubste mich ein Stück von sich weg. Sofort schoss mein Puls wieder hoch und ich stellte die Tasse auf das Sideboard.

"D-das wollte ich nicht!", rief ich und spannte meinen Körper an.

"Scheiße!" Er ging an mir vorbei, um sich abzutrocknen.

Am liebsten wäre ich im Erdboden versunken. Als er sich kaltes Wasser über den Arm laufen ließ, traute ich mich ihn anzusehen.

"Jetzt guck doch nicht so!", jammerte er und ich senkte den Blick.

"Mach mich nicht so an", sagte ich mit zitternder Stimme und spürte die antrainierten Tränen hinter meinen Lidern. "Das war doch keine Absicht!"

"Ja, schon gut", lenkte er ein. Aber das war es nicht! Wie lange sollte ich noch in Angst vor ihm leben? Die Wut kehrte in meinen Bauch zurück und ich konnte es nicht einfach auf mir sitzen lassen.

"Immer eskalieren unsere Auseinandersetzungen!", sagte ich mit fester Stimme.

"Nein, ist schon gut, ich stand im Weg. Lass uns nicht streiten."

"Nein, nichts ist gut hier! Warum ist das so zwischen uns?"

Er kam auf mich zu und ich wich zurück.

"Du brauchst keine Angst zu haben, Basti", sagte er ruhig und wollte mich am Arm packen, doch ich ging einen weiteren Schritt zurück. "Basti!"

"Du bist echt so was von gestört, Max. Einfach gestört. Genauso wie dein gestörter Vater, der im Knast sitzt, weil er deine Mama erschlagen hat."

Ich wollte ihn verletzen, ihn genauso leiden sehen, wie ich seinetwegen gelitten hatte. Sein entsetzter Gesichtsausdruck befriedigte mich.

"Lass meinen Vater aus dem Spiel!" Er kam einen Schritt näher.

"Du kannst es nur nicht ertragen, dass du genauso bist wie er!", provozierte ich weiter. Er war mir jetzt ganz nah.

"Lass es!"

"Und wenn ich es nicht sein lasse? Was willst du dann machen, du Gestörter? Mich auch totschlagen?"

Er hob seine Hand und zeigte mit ausgestrecktem Zeigefinger auf mich.

"Halt deine Klappe!", brüllte er und ich bekam ein paar Tropfen Speichel ab.

"Ganz sicher nicht, Arschloch!", schrie ich.

Unsere Gesichter waren nur noch wenige Zentimeter voneinander getrennt. Sein langer Zeigefinger berührte meine Nasenspitze.

"Noch ein Wort…", drohte er mir mit zusammengekniffenen Augen und wutverzerrten Lippen.

"Ein Wort", wiederholte ich und fing mir eine Ohrfeige ein. Es fühlte sich an, als würde mein Schädel platzen. Das Adrenalin raste durch meinen angespannten Körper. So schnell ich konnte, lief ich ins Bad und knallte die Türe zu. Er rannte mir hinterher und schlug mit voller Wucht dagegen. Ich presste mein ganzes Körpergewicht gegen die hölzerne Barriere zwischen uns und spürte die Vibration bis in meine Innereien. Ich war nicht stark genug, um ihn lange abzuhalten.

​

***

​

SAMSTAG

​

Mit tief ins Gesicht gezogener Kappe humpelte ich zu unserem Treffpunkt - der Hinterhof des Ladens, in dem Sascha arbeitete. Ich hatte das Gefühl, dass meine Schulter ausgekugelt und mein Knöchel verstaucht war.

"Fuck", hauchte Sascha, als er mich sah. Er wollte mir die Kappe aus der Stirn schieben, aber ich wandte mein Gesicht ab.

"W-was ist mit deinem Arm?"

"Nichts", murmelte ich und lehnte mich erschöpft gegen die Mauer. Gehen war anstrengend.

"Ist er gebrochen?", fragte er und packte danach. Der Schmerz zog mir in die Schulter und ich sank zu Boden.

"Scheiße, du musst ins Krankenhaus, Basti. Bitte", flehte er und ich presste meine Lippen aufeinander, um nicht vor Schmerz aufzuschreien.

"Es geht schon", hauchte ich und drückte mich wieder hoch. "Uns zu treffen war doch keine so gute Idee."

"Ich komme mit dir ins Krankenhaus, warte nur kurz, okay?", sagte Sascha und wollte gerade wieder zu seiner Arbeit hineingehen. Doch ich schüttelte den Kopf.

"Ich will nicht ins Krankenhaus! Die werden fragen, wie das passiert ist!", sagte ich laut.

"Und dann musst du ihnen sagen, dass es Max war! Wie lange willst du noch für ihn lügen und dich verstecken?"

Wütend schnaubte ich und drehte mich um, lief über den Hinterhof hinaus an die vierspurige Hauptstraße.

"Basti, warte!"

Ich sah schnell nach rechts und links, wartete eine Lücke ab und humpelte zügig über die viel befahrene Straße. Eine Sekunde später hörte ich lautes Hupen hinter mir. Erschrocken fuhr ich herum und zeigte dem Fahrer meinen Mittelfinger. Doch dann sah ich, warum eigentlich gehupt wurde und mein Herz stand still. Sascha wurde von einem Auto erfasst. Wie in Zeitlupe schob ihn das Fahrzeug nach vorne. Ich konnte seine Augen erkennen, die sich hilfesuchend an mich klammerten. Das Auto stoppte und er fiel zu Boden. Es knallte laut, weil ein anderes Auto in das Unfallfahrzeug hinein raste.

Geschockt rannte ich über die Straße zu ihm, hörte erneut lautes Hupen und wurde selbst mit voller Wucht durch die Luft geschleudert. Verwirrt suchte ich halt, doch alles drehte sich und meine Hände gehorchten mir nicht. Ich hörte, wie meine Knochen brachen und schmeckte Blut. Es klingelte in meinen Ohren und für einen endlos langen Moment spürte ich gar nichts. Ich sah die geschockten Gesichter einiger Passanten und den weit aufgerissenen Mund des Fahrers, der mich erwischt hatte. Meine trägen Augen suchten Sascha, der sich zum Glück ein Stück aufgerichtet hatte. Er lebte! Ich wollte erleichtert lächeln, aber ich konnte meinen Mund nicht bewegen.

Und dann war der Augenblick vorbei und ich knallte hart auf dem Asphalt auf. Meine Zähne krachten aufeinander und der Schmerz presste mir die letzte Luft aus den Lungen. Kein neuer Sauerstoff fand den Weg zwischen meine gebrochenen Rippen und ich röchelte leise.

bottom of page